Mein liebes Köln, wir müssen mal reden!
Was hast du bloß mit mir angestellt? Ich streife nun schon fast fünf Jahre durch deine Straßen und nie hätte ich mir auch nur zu träumen gewagt, dass man sich so hoffnungslos verlieben kann. In eine Stadt. Und dass sich ein einfacher Umzug, ein Tapetenwechsel wie jeder andere, so schrecklich schwer anfühlen wird. Dieser Text hier ist also nur für dich, du zauberhaftes Fleckchen Erde. Weil du mir gezeigt hast wie man vertraut, lacht, lernt, liebt, weint, vermisst, verzweifelt, verzeiht, Grenzen überwindet und eine Heimat findet. Und weil ich in diesen letzten 4 1/2 Jahren endlich begriffen habe, was es bedeutet, wirklich zu leben. Danke dafür. Die folgende Geschichte gehört nur uns.
Wie alles begann…
Ein Kind und Küken, gerade frisch der Schulbank entfleucht, weiß nicht wohin mit seinem Leben. Es weiß nur, dass Stillstehen keine Option ist. Und deswegen nimmt es die Studienzusage in der Großstadt an. Vielleicht war es etwas unüberlegt. Vielleicht hätte ich mir mehr Zeit lassen sollen. Oder ich hätte nach Australien fliegen sollen, so wie alle das nach dem Abi machen. Aber Fotografieren mochte ich ja, also konnte es schon keine ganz so falsche Entscheidung sein, aus der Leidenschaft ein Studium zu machen.
Die Uni war klein. Eine kuschelige Privatschule im Herzen von Ehrenfeld, dem Künstlerviertel. Alles fühlte sich ein bisschen an, wie eine große bunte Wohngemeinschaft, die zusammen ihre kreativen Träume lebt. Perfekt für den Anfang. Ich glaube nicht, dass mir der rasante Umschwung von ländlicher Provinz zu rauer Großstadt irgendwo anders besser gelungen wäre. Es war also doch die richtige Entscheidung, auch wenn sie nicht für immer war. Ich lernte Menschen kennen, die so waren wie ich – Träumende, Suchende, Kreative und Künstler. Und ganz nebenbei tauchte ich in dieses neue Leben ein und begann, mir ein kleines zu Hause aufzubauen. Ein Semester lang Pendler-Strapazen waren jedoch genug, also packte ich die Koffer und gab mich gänzlich der Großstadt hin.
Die erste eigene Wohnung
Umzüge war ich schon immer gewohnt. Als Familie waren wir in meiner Kindheit und Jugend mehr als 3 mal umgezogen und ich liebte es. Ich fand es ganz wunderbar, mich und meine Zimmereinrichtung an einem fremden Ort völlig neu erfinden zu können. Die Wohnungswechsel waren ja nie weit. Ich ging trotzdem immer auf die gleiche Schule und so waren es lediglich die Tapeten, die sich änderten. Doch dieser Tapetenwechsel sollte anders werden. 100 Kilometer von vertrauten Wäldern und Wiesen entfernt musste ich mich plötzlich um die eigenen vier Wände kümmern. Haushalt, einkaufen, Behördengänge, kochen, das monatliche Budget einteilen und abends alleine einschlafen waren zunächst mehr als ungewohnt für das kleine 18-jährige Küken. Aber ich habe es hinbekommen. Auch wenn ich beim Würstchenbraten mal den Feuermelder auslöste oder mein Bad überflutete bei dem Versuch, die Duschwand zu putzen oder mir beim Gemüseraspeln den kleinen Finger halbierte. Ich habe alles immer irgendwie hinbekommen. Und im Nachhinein denke ich, dass dieser Umzug in ein eigenes, selbstständigeres Leben, die beste Entscheidung war, die ich hätte treffen können. Ich habe das zum Wachsen gebraucht, wie die Pflanzen auf meinem Balkon die Sonne.
Und plötzlich die Sackgasse
Ja, ich war glücklich mit diesem Studentenleben, dieser Uni und dieser Stadt. Zumindest im ersten Semester. Ich hatte gute Noten, war fleißig und wuchs immer wieder über mich hinaus. Doch dann kam der Tiefschlag im 2. Semester. Meine Herzensprojekte wurden von den Bewertungen der Dozenten in der Luft zerrissen, ich begann alles anzuzweifeln, bekam schreckliches Heimweh und wollte nicht mal mehr meine Kamera anfassen. Das Fotografieren, das mir einst Freude und Ausgleich war, wurde immer mehr zu einer lästigen Pflicht, die ich verabscheute. Ich ließ Prüfungen sausen oder bestand sie nur schlecht und wollte eigentlich nur alles hinschmeißen. Aber dafür war ich mir zu stolz. Was, wenn es nur eine schlechte Phase war? Das erste Semester war ja schließlich so gut gelaufen. Also gab ich mir noch eine Chance – das dritte Semester.
Ich raufte mich zusammen und steckte wieder mehr Fleiß in meine Arbeiten, doch mit dem Ergebnis war ich selbst nicht zufrieden. Ich hatte das Gefühl, irgendwie festzustecken und mich nur im Kreis zu drehen. Die einstige Heimat fühlte sich plötzlich fremd an und mir wurde klar, dass ich dort nicht mehr hinpasste. Ich musste andere Wege versuchen, also wälzte ich den Studienberater wie schon kurz nach dem Abitur. Wohin die Reise gehen sollte, wusste ich nicht. Aber hatte ich das jemals gewusst? Wie schon vor ein-einhalb Jahren traf ich die Entscheidung wieder sehr schnell, vielleicht sogar unüberlegt. Im Sport hatte ich eine Freundin gefunden, die Sozialwissenschaften an der großen Uni studierte. Das klang eigentlich interessant und nachdem ich mit ihr einige Vorlesungen besucht hatte, schickte ich im Sommer 2015 meine Bewerbung ab. Es war die einzige Bewerbung. Einen Plan B hatte ich wie immer nicht. Zwar wählte ich Sowi in der Schule noch vor der Oberstufe ab, aber was sollte schon schiefgehen? Wie bereits nach dem Abschluss kam Stillstand nicht in Frage. Also auf ins nächste Abenteuer…

Nochmal neu – Mein zweites erstes Semester
Die Universität zu Köln war alles andere als klein. Das begriff ich spätestens als ich inmitten einer riesigen Menschentraube auf meine Einschreibung wartete. Ich glaube, wenn ich direkt dort mein Großstädter-Dasein begonnen hätte, hätte ich wohl ziemlich schnell wieder die Biege gemacht. Aber mittlerweile war die Umstellung ja nicht mehr ganz so brutal und meine Schüchternheit hatte sich dank des letzten Studiums schon etwas in Luft aufgelöst. Also ging ich offen auf die neuen Kommilitonen zu und musste feststellen, dass wieder viele waren, wie ich. Studienabbrecher. Menschen, die einen Umweg gegangen sind und jetzt aufs Neue ihr Glück versuchten. Und genau wie ich, bereuten auch sie keinen einzigen Schritt. So fand ich schnell meine Clique, mit der ich selbst die furchtbar frühen 8-Uhr-Vorlesungen unbeschadet überstand. Den harten Kern bildeten zwei Mädels und ich und so waren wir fortan unzertrennlich. Im Dreiergespann machten wir diverse Clubs und Kneipenbummel unsicher, führten tiefgründige Mensa-Gespräche und entdeckten unsere versteckte Liebe zum Kölner Karneval. Ich war endlich wieder angekommen, doch wenn ich Eines über das Leben gelernt habe, dann dass es unberechenbar ist. Und so war auch diese Zeit nicht für immer.
Einsam unter Menschen
Im Gegenteil zu meiner ersten Kuschel-Uni war diese Hochschule ein Ort der Extreme. Nirgendwo sonst ist man zu jeder Zeit von so vielen Menschen umgeben. Und nirgendwo sonst fühlt man sich trotzdem furchtbar allein. Ich war plötzlich Eine unter Vielen, die Dozenten kannten meinen Namen nicht mehr und die praktische Anonymität offenbarte mir ihre Schattenseiten. Sollte ich mich tatsächlich wieder verlaufen haben? Die Zweifel, die ich nach dem Studiengangwechsel tief vergraben hatte, begannen sich wieder an die Oberfläche zu kämpfen. Aber mittlerweile war ich zu stark geworden, um mich von ihnen erdrücken zu lassen. Ich hatte immer noch meine geliebte Wohnung, die vertrauten Straßen und das spannende Studium, die mir Halt gaben.
Ich besiegte die Zweifel und statt mich erneut hinter Unsicherheit zu verstecken, wählte ich diesmal den Weg nach vorn. Ich überschritt die Grenzen meiner Wohlfühlzone und betrat völliges Neuland, das mich forderte aber auch immer größer machte. Die Entscheidungen, die ich in diesen Tagen traf und die Dinge, die ich tat, hätte ich mir vor nicht allzu langer Zeit niemals zugetraut. Aber ich räumte die Steine aus dem Weg und landete so mit langer Nase und spitzen Ohren auf der Christmas-Parade im Rheinauhafen. Einfach so, weil ich mich getraut hatte auf diesen Facebook-Aufruf zu antworten. Genauso wahnsinnig war die Anmeldung als Mentor für die Erstsemester-Fahrt, die ich zusammen mit einem damals fremden Mädchen im betrunkenen Kopf entschied. Es war die definitiv beste Entscheidung, die ich jemals getroffen habe. Denn dadurch fand ich meine Familie.

La Familia
Dieses Mädchen, diese E-Fahrt, dieses 4. Semester – der Beginn von meinem dritten Neuanfang. Annelie und ich, das war vermutlich Liebe auf den ersten Blick, als wir zufällig gemeinsam in ein Mentorenteam eingeteilt wurden. Wir studierten im gleichen Semester und doch waren wir uns bisher nie über den Weg gelaufen. Dafür war die Uni zu groß und die Menschen sich zu fremd. Die abenteuerliche Erstsemester-Fahrt in die Eifel tat ihr Übriges und plötzlich war ich Teil dieser Gemeinschaft mit den blauen T-Shirts. Ich fand mein zu Hause in der WiSo-Fachschaft. Ich könnte versuchen, diese besondere Freundschaft in Worte zu fassen. Zu beschreiben, wie es sich anfühlt im größten Wohnzimmer Kölns zu wohnen. Und ich könnte versuchen zu erklären, wie man an dieser riesigen Uni, an der nichts bleibt, wie es ist, trotzdem ein Stück Beständigkeit finden kann. Aber all diese Versuche würden scheitern, denn wie ich bereits in einem anderen Text auf diesem Blog festgestellt habe: Et jitt kei Wood!
Heimat
Nie hätte ich gedacht, dass ich trotz der Zweifel, der Rückschläge und Sackgassen dennoch irgendwo ankommen würde. Dass ich eine Heimat finden würde. Und dass es sich trotz der kurzen Zeit, die mir hier bleibt, irgendwie für immer anfühlt. Ich bin so unendlich dankbar für alles, was an diesem magischen Ort passiert ist. Für die guten und die schlechten Dinge, für die richtigen und die falschen Entscheidungen, für die Erfolge und Fehler und für alles, was mir diese Stadt gegeben hat, ohne dass ich je gewagt hätte, danach zu fragen.

Ich verspreche dir, dass ich alles zurückgeben werde. Dass ich die immateriellen Geschenke bei mir trage, wohin mein Weg mich auch führt. Und dass ich nie vergessen werde, was wir gemeinsam erlebt haben. Denn all die Geschichten, die deine unscheinbaren Straßen erzählen, haben mich zu dem gemacht, was ich jetzt bin und ich weiß, dass sie nun auch von mir handeln. Dass ich ein Teil von dir geworden bin, so wie du von mir. Und ganz egal, welche Umwege ich noch gehen werde, welche Menschen ich noch treffen werde und in welche Orte ich mich noch verlieben werde:
Köln, du bist und bleibst der Dom in der Brandung!
Danke.